Donnerstag, 14. Juni 2012

Ausgangspunkt für dieses Portal sind die Erfahrungen von Eltern und Therapeuten mit Therapien in Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten.
Diese Erfahrungen führen seit einigen Jahren zu warnenden Stimmen, aber auch zu  Forderungen nach Entlastung von Eltern.
Im Jahr 2011 wurden die Heilmittelrichtlinien geändert. Dies führte zu gravierenden Veränderungen. Wir haben diese deutlich negativen Entwicklungen in einem offenen Brief an den Deutschen Berufsverband Logopädie (dbl) beschrieben und veröffentlichen ihn hier noch einmal. Auf dem dbl-Kongress 2012 wurde deshalb durch die Mitglieder eine Internetplattform zur Infomation und Diskussion zu diesem  wichtigen berufspolitischen Thema gefordert. 

Der offene Brief erschien im Forum Logopädie im Mai 2012

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Behandlung von Regelkindern in Einrichtungen?

An den dbl, unsere Kolleginnen und Kollegen,

seit der Veränderung der HMR 2011 beobachten wir eine Tendenz, die uns Sorgen macht. Immer mehr Therapien für Regelkinder finden regelwidrig in Kindergärten statt.
Einen Eindruck von den Auswirkungen einer solchen ''Öffnung'', wie sie der dbl im Positionspapier vom 16.1.12 als berufspolitisches Ziel formuliert hat, auf unsere Arbeit konnten wir in Mönchengladbach im Jahr 2011 beobachten.
Nach den Presseerklärungen Anfang 2011 zur Neufassung der HMR kam es zu einer verstärkten Tätigkeit von Logopäden und anderen Heilmittelerbringern in Kindergärten unserer Stadt. Es wurden zahlreiche ''Kooperationsverträge" geschlossen, und logopädische Therapien von Regelkindern fanden verstärkt in den Kindergärten statt. Ab Mai 2011 ging in den Logopädiepraxen unserer Stadt, die nach den HMR-Richtlinien und Qualitätsvorlagen des dbl arbeiten, die Anmeldezahl der Kinder fortlaufend zurück. Es gab fast keine Anmeldungen von Kindern mehr.
Eine Nachfrage bei den verordnenden Kinderärzten ergab, dass ganz normal verordnet werde, es sogar deutliche Budgetüberschreitungen gebe.
Erst eine Recherche in den Kindergärten klärte das Phänomen: Nur einige wenige Praxen hatten in sehr vielen Kindergärten Logopäden stationiert, die dort alle Kinder behandelten. Diese beriefen sich auf die „unklare Formulierung der neuen HMR" und die Notwendigkeit zur Therapie in Kindergärten durch die „veränderten gesellschaftlichen Bedingungen", die eine Entlastung der Eltern notwendig mache.

Die Träger der Kindergärten warben auf ihren Homepages offen mit der Möglichkeit, alle Therapien in den Einrichtungen anbieten zu können. Daraufhin kam es zu Therapieabbrüchen in den Praxen, da die Eltern „es ja jetzt auch im Kindergarten erledigen lassen konnten". Dann kamen die ersten Anfragen von Eltern, ob wir dies nicht auch in ihrem Kindergarten erledigen könnten, alle anderen Kinder würden ja auch dort behandelt. Dies ist aber nicht möglich, denn die sogenannten ''Kooperationsverträge" schließen die freie Therapeutenwahl aus.
In kurzer Zeit war in unserer Stadt fast ein Monopol entstanden. Wer mit seiner Praxis in Kindergärten Regelkinder behandelt, hat Arbeit - wer Therapien nur in seiner Praxis anbietet, steht vor existentiellen Problemen. Besondere Qualifikationen, eine intensive Elternarbeit und alle Kriterien zur Qualitätssicherung unserer Arbeit sind zur Nebensache degradiert.
Realität ist: ein Verdrängungskampf ohne echten Wettbewerb.

Unserer Meinung nach besteht die Gefahr, dass nach den großen Bereichen Erziehung, Ernährung und (Zahn)Hygiene, die in Kindertageseinrichtungen "erledigt" werden, wir durch Logopädie in der Einrichtung für Regelkinder und ohne Einbeziehung der Eltern, diesen auch noch ihre unbestrittene Verantwortung bezüglich der Sprachentwicklung ihrer Kinder abnehmen sollen. Diese ''Entlastung'' der Eltern scheint politisch gewollt und wird vom dbl unterstützt.
Wir erkennen, dass der dbl keine klare und verbindliche Stellung einnimmt, sondern Raum für Auslegungen offenlässt.
Wir sehen diese berufspolitische Ausrichtung des dbl sehr kritisch und möchten mit diesem offenen Brief die Mitglieder über mögliche Entwicklungen informieren und für die Brisanz sensibilisieren. Wir glauben, dass die Mehrheit der Logopäden nicht nur wirtschaftliche Aspekte verfolgt, sondern an nachhaltiger berufspolitischer Entwicklung interessiert ist.
Bezüglich der vom dbl zur Begründung angeführten "veränderten gesellschaftlichen Bedingungen" machen wir in unseren freien Praxen die Erfahrung, dass Eltern, o b w o h l sie berufstätig sind, Wege finden, die Behandlungstermine einzuhalten, deren Verlauf zu verfolgen und durch angeleitete Übungen zu Hause zu unterstützen. Dadurch sind die Therapien wesentlich effektiver.

Wir fordern den dbl auf, seine berufspolitische Ausrichtung zu überdenken und seine Mitglieder über die Probleme der angestrebten Veränderungen zu informieren.
Wir fordern eine Mitgliederbefragung zu diesem Thema.
Wir wollen nicht zu reinen Dienstleistern ohne Beziehung zu den Eltern werden!
Wir wollen die freie Therapeutenwahl und die Vielfalt therapeutischen Arbeitens erhalten!
Wir wünschen uns ein starkes Engagement unseres Berufsverbandes in der Sicherung der logopädischen Qualität, indem er sich g e g e n die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung einer „Entlastung“ im Sinne eines Delegierens von Verantwortung an Dienstleister wendet.

Wir geben unserer Besorgnis über diese angestrebte Entwicklung eine Stimme und rufen alle Mitglieder auf, sich hierzu zu äußern, Stellung zu beziehen und sich an der Diskussion aktiv zu beteiligen.
Unterschriften der beteiligten Logopäden Mönchengladbach den 4.3.2012
Jörg Abel, Christina Reimann, Gabriele Langen, Imogen Lindner, Julia Oehmen, Annika Baumann, Tim Neeten,
Verena Scheidweiler

Dienstag, 12. Juni 2012

Im Juni 2012 fand der dbl Kongress in Nürnberg statt. Auch hier waren die 'Therapien in Einrichtungen" ein wichtiges Thema. Die Mitgliederversammlung stimmte über unsere Eingabe ab, eine Mitgliederbefragung zu diesem Thema durchzuführen. Dieser Befragung sollte eine breite öffentliche Diskussion vorausgehen. Hierfür sollte eine Internetplattform erstellt werden, die allen Beteiligten offensteht, also nicht nur dbl Mitgliedern, sondern auch Eltern, Ärzten, Erzieherinnen und Logopäden oder Sprachheiltherapeuten, die nicht dbl Mitglieder sind.
Dieser Eingabe wurde mit großer Mehrheit der Mitglieder zugestimmt.

Dieser Blog ist ein erster Versuch, die geforderte Diskussions- und Informationsplattform zur Verfügung zu stellen.

Wir freuen uns auf Ihre Kommentare!



Die Rede zur Begründung des Antrags wird hier noch einmal allen Interessierten zur Verfügung gestellt:


Liebe Kolleginnen und Kollegen,
seit wir unsere Eingabe für den Kongress in Nürnberg und unseren offenen Brief geschrieben haben,ist viel passiert. Der dbl hat in der Zwischenzeit das alte Positiojspapier zurückgezogen und überarbeitet. Ich durfte als Gast an den Beratungen hierzu teilnehmen und habe eine engagierte, hochkompetente und professionelle Spitze erlebt. Hierfür an dieser Stelle nochmal meinen Dank.

Das neue Positionspapier und der Kommentar des dbl hierzu vom Mai l2012 sind ein erster Schritt in unsere geforderte Richtung.

Dennoch gehen unsere Standpunkte an dieser Stelle auseinander:

In diesem Kommentar werden die Risiken und Chancen einer Öffnung der Einrichtungen als Markt für Therapieangebote erstmals gegenüber gestellt. Unser Vorstand sieht vor allem Chancen in der Öffnung. Wir sehen vor allem Risiken. Nach unseren Erfahrungen werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen schon jetzt weit über das legale Maß ausgereizt. Wir haben in Mönchengladbach sehr negative Erfahrungen mit der Ausweitung von Logopädie  in Einrichtungen gemacht. Das verstärkte Angebot von Heilmitteln in Einrichtungen an die Eltern, hat zu einer massiven, negativen Veränderung unserer beruflichen Tätigkeit geführt.
Eine große Zahl von Patienten ist in die Enrichtungen abgewandert.
Die freie Therapeutenwahl wurde eingeschränkt und ausgehebelt.
Es kam zu gravierenden Wettbewerbsverzerrungen, Abwerbeversuchen und in der Folge zu Existenzproblemen freier Praxen.

Die Erfahrungen von Logopäden, die Therapien in Einrichtungen durchführen zeigen, dass hier unser Beruf einen völlig neuen Status erhält. Wir reihen uns ein in die Gruppe der Erzieher und Lehrer, die einen Dienstleistungsauftrag erfüllen. Eltern stehen als Dienstleistungsnehmer gegenüber und sind zur aktiven Mitarbeit seltenst bereit.
Wir verlieren hier die Möglichkeit Einfluss zu nehmen gerade auf die Eltern und familiären Strukturen, die oft schon seit Generationen bildungsfern sind und für deren Kinder man die zahllosen Fördermöglichkeiten doch eigentlich schaffen wollte.
Man kann nicht auf der einen Seite fordern, dass Förderung von kindlicher Sprache und die Behandlung von Sprachstörungen möglichst früh erfolgen soll in dem Wissen, dass es effektiv nur mit den Eltern erfolgen kann und auf der anderen Seite dann diese Aufgabe delegieren an Dienstleister in Einrichtungen.

Wenn In Zukunft unsere kindlichen Patienten nur noch in der Einrichtung abgegeben werden, wird es eine regelmäßige Elternbeteiligung oder Mitarbeit in einem solchen Setting nicht mehr geben.

Auch im neuen Positionspapier und seinem Kommentar hält der dbl wieder die Fahne der Qualitätssicherung hoch und fordert entsprechende "Rahmenbedingungen". 

Wir halten diese Forderungen für unrealistisch und weltfremd. Die Wirklichkeit sieht völlig anders aus. Therapien werden in Turnhallen durchgeführt, es gibt keine festen Zeiten, keine Materialräume, keine Elternkontakte, die Zusammenarbeit mit den Erzieherinnen ist nicht realisierbar wegen Überlastung, oft werden die Therapien als störend für den Gruppenablauf angesehen oder die Kinder wollen nicht aus dem Spiel heraus usw.

Wenn man dann als Logopäde hingeht und die Rahmenbedingungen für Qualität einfordert , erhält man von der Kindergarten - Leitung die Antwort:
" Dann suchen wir uns eben eine andere Praxis!"

DBL, bitte wach auf!!
Wenn wir diesen Damm reißen lassen, dann geht die Qualität unter!
Die Qualität spielt in einem Dienstleisterwettbewerb keine Rolle mehr! Wir haben es in Mönchengladbach erlebt. Sobald Logopädie im Kindergarten angeboten wird, wollen alle Eltern ihre Kinder bequem dort abgeben. In die Praxen geht dann kaum noch jemand.
Regeln und Richtlinien werden aufgestellt, aber kontrollieren kann sie keiner. Den Missbrauch einzudämmen ist schon jetzt ebenso unmöglich.

Wir glauben, dass vielen Mitgliedern nicht bewusst ist, welche Gefahr darin besteht, wenn Kindergärten und Schulen als Therapiemarkt geöffnet werden und eine gesellschaftspolitische Forderung kritiklos bedient wird.

Wir fordern daher:
1. eine objektive Information und offene Diskussion  aller Mitglieder und Nicht- Mitglieder zu diesem Thema z. B in einer moderierten Internetplattform.
2. Wir beantragen als Schritt danach eine Mitgliederbefragung zu diesem Thema unter der Maßgabe die berufspolitische Ausrichtung des dbl in diesem Bereich an der Mehrheit der Mitglieder zu orientieren.
3. Wir erwarten von unserem Verband , dass er sich für die Einhaltung geltenden Rechts zum Schutz seiner Mitglieder einsetzt. Hier wäre ein Schulterschluss mit den Aufsichtsgremien der Kassen zur Durchsetzung der Heilmittelrichtlinien wünschenswert.

    Liebe Kolleginnen und Kollegen , wir fordern Euch auf , Stellung zu beziehen.
Hier geht es um die Zukunft der Logopädie. Die berufspolitische Ausrichtung unseres Verbandes darf in diesem Punkt nicht von einigen wenigen in der Spitze festgelegt werden.